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Dienstag, 29. September 2015

Illusionen


Wann eigentlich ist mir das erste Mal leise bewusst geworden, dass ich mein gesamtes Leben in Illusionen verbracht habe? Es ist wohl noch nicht lang her - & es ist keine Knall der Erkenntnis sondern ein Langsamst-Prozess, der alles raubt, woran man zu glauben glaubt. & der (mich) nicht befreit - im Gegenteil die Welt auf ein klaustrophobisches Nichts verengt. Ent-Täuschung kann sicher oftmals "erleuchtend" sein, einen Menschen die ureigenste Realität als mglw. sehr schmerzhaft, aber wahr erkennen lassen. Nicht so, wenn eine Zerstörung als Folge der Täuschung irreversibel ist, die letztere als solche erkannt wird, doch die Wahrheit dahinter verborgen bleibt.
Geahnt habe ich es oft: 
- mit Anfang 20, als ich mich - vom DDR-Wahn erlöst - frei glaubte & nicht verstand, weshalb mich trotzdem panische Ängste einholten, ich mich noch immer "irgendwie anders", aussenstehend fühlte - obgleich ich mitten drin war im Pulk derer, die unsere neue Freiheit in jeder Sekunde feierten. Exzessiv, verrückt, laut, anarchisch, gemocht. - & doch voller Momente des Horrors...Wann?
- die Jahre, in denen die Kopfschmerzen zunahmen, sich unbegreiflich chronifizierten, sodass ich kaum noch ein paar Drink kippen konnte, ohne nach wenigen Stunden Schlaf vom Schmerz gefoltert zu werden…
- der erste Totalabsturz 96 - zwei Wochen in panischem Dauerherzrasen, am Ende mehrere Monate Psychiatrie & ein gescheiterter Suizidversuch…
- die Zeit mit WoodenSoldiers, getrieben von ultimativer Bühnensucht und - angst - der alte, mittlerweile. widersprüchliche Traum vom Rockstar, der plötzlich so etwas wie Substanz hatte; Substanz, die ich trotzdem nie wieder verlieren wollte...
- die Jahre der exzessiven Sexparties, in denen ich mich mit XY durch halb Berlin gevögelt habe, so dass ich nach einem langen WE manchmal nicht mehr wusste, wie viele Frauen es waren? Natürlich habe ich irgendwann gespürt, dass eine Leere bleibt, doch es hat ´ne Weile lang ganz gut als Betäubung funktioniert...
- mein Weggang aus Berlin, der nicht die erhoffte Befreiung in der Friedlichkeit ländlicher Umgebung brachte…
- last but - meine Tage der Musik zu widmen, im eigenen Studio - die vermeintliche Erfüllung eines viele Jahre geträumten Traumes. Die Erkenntnis, dass selbst hier, wo meine grössten Talente warteten, die Leidenschaft in einem inneren Kerker voller Folterinstrumente versinkt, hat mir wohl den Rest gegeben. Was bleibt? Nichts.

Wo ist der Unterschied zwischen Wünschen, Träumen & Illusionen? Oft vielleicht gar nicht erkennbar, wenn es lebbar ist & dem Dasein Erfüllung, vllt. sogar Glück bringt. "Auffliegen" wird es wohl nur, wenn "man" alles versucht, mit dem Handeln & Können ein Stück Zufriedenheit zu erlangen & Mal um´s Mal scheitert. Nicht wissend, warum - nur ahnend, dass man gegen eine unerbittliche Macht ankämpft. In Wahrheit beneide ich alle Menschen, die Schmerz mglw. ein Leben lang mit irgendetwas erfolgreich betäuben oder wirksam lindern können. Wenn das alles nicht mehr hilft, wird´s bitter & verzweifelt. Ohnmächtig.
Wenn ich versuche, mich rückzuerinnern: schon mit sechs Jahren habe in Bildern der Illusion gelebt. Habe mich wie Chris Norman auf Bühnen gesehen, von der (im Grunde anonymen) Welt bewundert & geliebt - Sehnsucht nach echter Liebe von meinen Eltern ward wohl schon unvorstellbar & zu gefährlich. Später folgten Udo L., Neil Young, & natürlich Robert Smith, der Punk, Kurt Cobain. &&&. Musik & Sex als wichtigstes Elexier.
Dass Erkenntnis Heilung brächte, ist eine schöne Vorstellung - & oft scheint es tatsächlich so zu sein. Was muss geschehen (sein), wenn weder Betäubung noch extrem schmerzhafte Wahrheiten eine unbenennbare Qual zu lindern vermögen (?). Heute weiss ich, dass ich wirkliche Liebe niemals empfunden habe, keinerlei echte Vorstellung des Gefühls habe. Gebracht hat mir die Erkenntnis bislang lediglich, dass ich den sinnlos-unstillbaren Drang nach Zuneigung & Bewunderung aufgegeben habe & noch ein paar Kilometer tiefer in Angst, Depression & Lebenszweifel gefallen bin.

Es gäbe viele Gründe, zu leben - die Idylle, in der ich lebe; Musik, die ich machen, Bücher, die ich schreiben könnte; durch die wundervollen Alpen wandern; die Schweiz per Bahn; England & Skandinavien sehen; das Mittelmeer nur einen Tagestrip entfernt. Mir geht´s finanziell vglw. gut - ein alter Camper, ´ne gemütliche Wohnung mit Garten, Musiker finden... all das wäre machbar. Wenn, hätte, wäre, könnte, würde - ich weiss.
& es gibt nur einen Grund, es nicht länger zu ertragen - der alle anderen überschattet. Egal, wie ich versuche, dagegen anzukämpfen oder mich damit zu arrangieren. Was nutzt alle Schönheit, die ich sehen, aber niemals fühlen kann? Wenn alles von nicht fassbarem Horror vergiftet wird? 
Ich glaube nicht, dass es jemals greifbar sein wird. Erst recht nicht, dass der Geist sich noch immer Träumen - oder Illusionen - hingeben will, der Körper hingegen es manchmal kaum vom Bett zur Kaffeemaschine schafft. Nicht (be)greifbar. Gar nicht.




Samstag, 5. September 2015

Wortlos-Ich-keit


Nun, nachdem ich fast ein Jahr lang exzessiv Fernsehen geglotzt habe - ha, wer hätte das gedacht - aber man kommt an wunderschöne Orte & Replay-TV in HD (= "rückwärts gucken, was & wann Du willst) ist eine tolle Errungenschaft des digitösen Zeitalters - überkommt mich wieder mehr die Lust auf Töne.
Eigentlich schon länger, doch erst jetzt (in manchen Dingen bin ich unbegreiflich lahm im Verstehen) geht mir vollends auf, dass mich neben der Dämpfung durch´s Morphin v.A. eines blockiert: Ich habe keine Worte mehr. Nix, Null, Nada, ничего, 何も, لا شي, ,גאָרנישט.

Erstmalig, nachdem ich "Zivilisationsfabriken" & "Sehnsuchtmaschine" geschrieben hatte, war da auf einmal das Gefühl, alles gesagt zu haben. Alles, was für mich wichtig war, mit den Möglichkeiten des Songwritings gesagt zu haben (beide Texte haben eine (für mich) identische Aussage aus / in verschiedene/n Perspektiven).
Wenn man genau hinschaut, wird schnell sichtbar, dass seither alle Lyrics im Grunde Variationen jener Aussage sind - von sehr wenigen spassigen Texten oder Beziehungsspiegelungen abgesehen. Selbst die Thematik des Sterbens ist in erstgenannten schon vorhanden - später nur ungeschminkter ausgedrückt (v.A. in den letztrecordeten "Tracks ab 2013 (Youtube-Playlist)).
& natürlich die tonnenweise "Empty Spaces", endlose Wiederholung der sich im Kreis drehenden Leere. Dies immer wieder zu tun, dazu stehe ich guten Gefühls - ob es andere langweilt, isch mir hueremegatotalegal.
Doch wat nu? Imagine in Verbindung mit einer simplen Neuropharmaka-Folgen-Beschreibung zu vertonen, hat sich richtig & spannend angefühlt. Diese Worte in ihrer einfachen Klarheit gehören für mich zum Wichtigsten, das seit Weltkriegsende verfasst wurde. Auch wenn es "nur" ein Traum ist - & ich weit desillusionierter als Mr. Lennon bin: Falls Du es schon zu oft gehört hast, schliess die Augen & hör´ Dir die Version von Neil Young an. Oder schau hin - ich glaube, N.Y. nie mit tieferem Ausdruck von Trauer gesehen zu haben.
Btw - die Silben sind alle. Soll ich Instrumentals machen? In phonetischem Phantasiegewusel singen? Oder mich bewusst wiederholen? Vielleicht sogar explizit Covern, auf meine Art? Es gibt so viel geniales Zeug, alles war schon da... Oder alles zusammen?
Wieauchimmer - erstmal braucht´s wieder eine brauchbare Musikmachmaschine - & ich hoffe, dass die Lust anhält & sich nicht im Kauf eines tollen Computers erschöpft. Ich vermute, wenn das vorbei ist, werde ich nach dem ganzen Einkaufsstress erst einmal GAR NICHTS tun - & mal wieder exzessiv TV glotzen ;-) 




Sehnsuchtmaschine - mit Mantodea, Berlin 2003